Mittwoch, 11. Mai 2011

„Aufgeben kommt nicht in Frage…“

Die Projektgruppen „Diskriminirung und Chancengleichheit“ und „Identität“ trafen den renomierten Ethnologen und Wissenschaftler Prof. Dr. Werner Schiffauer.

Der „Islam gehört nicht zu Deutschland“, diese Aussage hat in den letzten Wochen für viel Diskussionsstoff gesorgt, da die Debatten über Integration, insbesondere der Integration von Muslimen in Deutschland sehr einseitig verlaufen. Historisch betrachtet mag Herr Friedrich teilweise Recht haben, allerdings ist seine Aussage nicht zukunftsorientiert.



Identitäsfrage: Zugehörigkeiten verknüpfen ist angesagt!
Dieser Ansicht ist auch Prof. Dr. Schiffauer, der sich am Freitag, den 15. April 2011 mit der Arbeitsgruppe „Diskriminierung und Chancengleichheit“ und der Arbeitsgruppe „Identität“ des JUMA Projekts im Rathaus Schöneberg traf und mit uns über die aktuelle Islam- und Integrationsdebatte sprach, über Identität und Zugehörigkeit und Schwierigkeiten und Chancen für das Leben als Muslim in Deutschland diskutierte.
Schiffauer, der Professor für Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt Oder ist, beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit türkischen Einwanderern und Muslimen in Deutschland.
Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die Frage nach Identität. Da Identität schwierig zu definieren ist, ist es laut Schiffauer einfacher von Zugehörigkeit zu sprechen. Es gibt doppelte Zugehörigkeiten und die Herausforderung besteht darin diese Zugehörigkeit zusammenzubringen. So ist beispielsweise die Heimat vieler Jugendlicher das Herkunftsland ihrer Eltern, ihr Zuhause jedoch ist Deutschland. Ein Problem entsteht erst, wenn Eindeutigkeit gefordert wird. Diese Forderung erzeugt Druck und kann Konflikte hervorrufen. Vielen von uns ist es aber gelungen, eine Verknüpfung herzustellen.

Mehr Übersetzer braucht das Land
Schiffauer sieht genau in dieser Verknüpfung der Zugehörigkeiten eine Chance. Bei unserem Treffen zieht er den Vergleich zu einer Übersetzung. Eine Übersetzung, so Schiffauer, sei dem Originaltext immer nachgeordnet aber gleichzeitig das Mittel, das den Text erschließt, da er sonst „stumm“ bleibe.
Den Islam in die deutsche Gesellschaft zu übersetzen, ist also die Herausforderung, der wir uns als deutsche  Muslime stellen müssen. Dabei ist es besonders wichtig, sich einzubringen, d.h. nicht nur in der eigenen (muslimischen) Community aktiv zu sein, sondern auch in der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft. Diese Rolle als Übersetzer kann zwar unangenehm sein, bietet aber vor allem die Chance der Selbstreflektion. Schiffauer betont, dass die Haltung des Übersetzers vorwärtsgewandt und zukunftsorientiert sei. Die eigene Kritikfähigkeit würde geschult und Stärken und Schwächen könnten besser realisiert werden.
Eine Gefahr besteht bei der Verknüpfung von Kulturen und mehreren Zugehörigkeiten, dass man in der eigenen Vergangenheit auflebt. Durch die Betonung der eigenen Wurzeln wird zwar das Selbstbewusstsein gestärkt,  allerdings ist diese Orientierung, wie auch die anfänglich erwähnte Aussage des Ministers, rückwärtsgewandt.

Leichter gesagt als getan. Grund zum Aufgeben?
Schiffauer teilte die Sorge der Teilnehmer, dass die gegenwärtige Stimmung der Gesellschaft gegenüber Muslimen problematisch sei und somit auch das „Übersetzen“ sehr schwierig. Die Frage wie die große Chance des Übersetzens, trotz der aktuellen Situation dennoch geschaffen werden könne, schwebte als großes Fragezeichen im Raum. Die Gesprächsatmosphäre und Stimmung im Raum war trotz vieler Sorgen sehr positiv und dynamisch.
Jeder von uns hat sehr viel mitgenommen an diesem Tag. Vor allem, dass Aufgeben nicht in Frage kommt. Selbstbewusstes Engagement steht im Vordergrund, damit wir Aufmerksamkeit und Interesse erzeugen. Wir müssen Identität als Aufgabe begreifen, nicht nur dabei verharren, was wir sind, sondern was wir noch sein möchten und was wir erreichen wollen. Diese Einstellung ist nicht starr und festgefahren, sondern vorwärtsgewandt und unsere Chance für die Zukunft! Die Chance zu zeigen, wie der Islam zu Deutschland gehört.

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