Na toll, wieder kein Platz in der S-Bahn. Welche nette Ecke suche ich mir also heute zum Stehen aus? Wenn es so voll ist, verstecke ich mich immer am liebsten irgendwie geschickt hinter einem breiten Männerrücken. Aber heute ist mir nicht danach. Lässig, lehne ich mich an eine Glasscheibe und lass meinen Rucksack an der Hand herumbaumeln. Ohne mich umzuschauen, weiß ich oft, dass mich viele Blicke, wie ein Laserpointer, treffen. Kein Problem für mich. Wer mich mit seinem Blick trifft, kriegt ein Lächeln zugeworfen.
Im rechten Augenwinkel bemerke ich eine rhythmische Bewegung und kleine funkelnde Augen, die an meinem Gesicht hängen bleiben. Oh, was für ein süßes, nuckelndes Baby! Es hängt in einer Wickeltasche vom Papa. Wenn das Baby ein Opa oder eine Oma wäre, würde ich glatt denken, dass diese Person mich aus folgenden Gründen so aufdringlich betrachtet: Aus Mitleid, aus Antipathie, um zu provozieren, aus Feindseligkeit oder aus exhibitionistischen Intentionen heraus.
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| Gruppenmitglied Ugurcan (liegt am Boden) wird von einem gewaltbereiten Kind angegriffen. |
Nein, dieses Baby schaut, weil es die Welt erkundet. Wenn an meiner Stelle eine andere Person stehen würde, hätte das Baby dieselben monotonen Blicke drauf gehabt.
Manchmal denke ich als Muslima, wenn Menschen einen länger als gewöhnlich betrachten, dass dahinter ein negativer Gedanke stecken könnte. Aber auch ältere, klar denkende Menschen können einfach nur aus Interesse, Begeisterung oder Sympathie heraus gucken. Auch im fortgeschrittenen Alter können Menschen immer noch die Welt für sich erkunden wollen. Und ich bin nun mal ein Teil dieser Welt.
Nora El-Sayed, 23, Studentin

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